Rede zum Gedenken
an die Niederschlagung des Kapp-Putsches:
Ein Generalstreik hat die Republik gerettet
90 Jahre ist es her, dass der Kapp-Putsch stattgefunden hat. 90 Jahre – ein Zeitraum, der Erinnerung immer schwerer, aber trotzdem notwendig macht.
Ich habe die Anfrage der VVN für diese Rede übernommen, weil es auch meinem Verständnis von Geschichte entspricht, sowohl über die Vorgänge von 1920 zu sprechen, als auch darüber nachzudenken, welche Konsequenzen aus den Ereignissen vor 90 Jahren zu ziehen sind.
Deshalb habe ich für meine Rede drei Abschnitte vorgesehen:
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Wie kam es zum Kapp-Putsch?
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Wer waren die Gewinner, wer die Verlierer?
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Warum Gedenktage dieser Art?
Die geschichtliche Ausgangssituation ist weitgehend erforscht, die wichtigsten Details sind bekannt. Deshalb kann der historische Rückblick sich auf wenige Fakten beschränken:
Nach der Niederlage des Kaiserreichs im 1. Weltkrieg wurde im Versailler Vertrag festgelegt, dass das Berufsheer auf 100.000 Soldaten verkleinert werden soll. Freikorps, die nach dem 1. Weltkrieg gebildet worden waren, sollten durch Regierungsverfügung ebenfalls aufgelöst werden. Die Auflösungsorder von Teilen des Militärs beantworteten Dr. Kapp und General von Lüttwitz mit einem Ultimatum an die damalige Reichsregierung. Inhalt des Ultimatums waren die Forderungen nach:
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sofortiger Auflösung des Reichstags
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Neuwahlen
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Verzicht auf die weitere Auflösung von Truppenteilen
Die Reichsregierung lehnte dieses Ultimatum ab, General Lüttwitz wurde entlassen.
Am 13. März fand der erwartete und schon längst vorbereitete Kapp-Putsch statt. „Die Marinebrigade Ehrhardt marschierte in Berlin ein, nachdem die Reichsregierung versucht hatte, durch Verhandlungen den Aufmarsch zu verhindern” (nach Emil Julius Gumbel: Verschwörer, 1924, Neuauflage Fischer TB 1984, S. 59). Kapp ließ die Regierungsgebäude besetzen, ernannte sich selber zum Reichskanzler, Lüttwitz zum Reichswehrminister. Die Nationalversammlung wurde aufgelöst, der Reichspräsident abgesetzt.
Die nach Stuttgart geflohene Reichsregierung rief die Arbeiterschaft zum Streik auf: Sie hatte keine andere Wahl!!! Die auf die Verfassung verpflichtete Reichswehr weigerte sich, gegen die Putschisten vorzugehen (von Seekt: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr”). Erst der gemeinsame Aufruf von ADGB und AfA (Legien und Aufhäuser) führte zum Generalstreik. Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Generalstreik die Republik damals gerettet hat.
Nach nur 4 Tagen war der Putsch vorbei. Kapp floh nach Schweden. Zur Situationsbeschreibung zitiere ich noch einmal E.J. Gumbel (s.o. S. 59):
Die öffentliche Meinung verlangte die strengste Bestrafung der Kapp-Anhänger, die Auflösung der ungetreuen Truppen und Geheimbünde. Als Reaktion auf den Kapp-Putsch entstand in dem republikanisch gesinnten Rheinland und Westfalen eine Arbeiterbewegung mit dem Ziel der Räterepublik. Jetzt wiederholte sich das Spiel von 1918. Plötzlich gab es keinen Kappisten, der nicht ausschließlich für den Schutz von Ruhe und Ordnung eingetreten wäre. Die Generäle, die Offiziere, die Truppen, die eben noch gemeutert hatten, verwandelten sich sofort wieder in Regierungstruppen. Sie hatten nicht die Zeit, ihre Hakenkreuze(!) abzulegen, und schon marschierten sie im Namen der gesetzmäßigen Regierung gegen die Arbeiter, gegen die sie im Namen der Kapp-Regierung Krieg geführt hatten. Die Regierung Bauers gab ihren eigenen Feinden wieder die Macht und ließ es zu, dass die Republikaner verfolgt wurden.
Was Gumbel hier sehr allgemein beschreibt, war allerdings doch ganz anders und in einigen Punkten ist seine Beschreibung auch falsch. Schon vor dem Generalstreik hatte es erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den Parteien gegeben, wie gegen die Putschisten vorgegangen werden soll. Nach dem Scheitern des Kapp-Putsches gab es erneut erhebliche Differenzen darüber, wie zukünftig Attacken auf die Republik verhindert werden können:
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die SPD-Führung erklärte den Generalstreik für beendet und strebte die Normalisierung der Verhältnisse an.
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USPD und KPD forderten die Entwaffnung aller Freikorps und Putschisten.
Unter ihrer Führung bildete sich im Ruhrgebiet die „Rote Ruhrarmee”. Ca. 100.00 Mann setzten sich zur Wehr, errangen militärische Erfolge und vertrieben Reichswehreinheiten aus Dortmund, Essen, Mühlheim, Duisburg, Hamborn. Carl Severing, der sozialdemokratische Reichskommissar für Rheinland-Westfalen, forderte die „Rote Ruhrarmee” auf, sich aufzulösen und die Waffen abzugeben. Im Gegenzug wurde zugesichert, die Reichswehr nicht ins Ruhrgebiet einmarschieren zu lassen.
Unter einem Vorwand, zumindest mit einer fragwürdigen Begründung, wurde dieses Versprechen gebrochen und die Reichswehr marschierte ins Ruhrgebiet ein. Unter Führung der KPD wurde erneut zu Generalstreik und bewaffnetem Widerstand aufgerufen. Die militärische Überlegenheit der Reichswehr einerseits und die Isoliertheit der „Ruhrarmee” andererseits führte in die Niederlage, die „Ruhrarmee” wurde zerschlagen. Reichswehr und Freikorps nahmen fürchterliche Rache: neben den Toten aus den Kämpfen gab es zahlreiche „standrechtliche” Erschießungen. Die neuesten Zahlen belegen, dass an die 1000 Männer, Frauen und Jugendliche in den Kämpfen und danach ihr Leben verloren haben.
Wer war Gewinner, wer waren die Verlierer?
Die Entscheidungen der SPD-Reichsregierung hatten fatale Konsequenzen. Es wurden genau diejenigen militärischen Kräfte gegen die kämpfenden Arbeiter im Ruhrgebiet eingesetzt, die nur wenige Tage zuvor am Kapp-Putsch direkt beteiligt waren oder mit dem Putsch sympathisiert hatten.
Warum konnte dies so geschehen?
Es waren die politischen Forderungen der „Roten Ruhrarmee”, die der Reichsregierung nicht passten. Es waren die SPD-eigenen politischen Vorstellungen von Ruhe und Ordnung, vom Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, die unvereinbar waren mit der Existenz von bewaffneten Arbeitern und einer starken KPD. Die Reichsregierung sicherte sich zwar ihre Macht durch den Einsatz der Reichswehr, eine Bestrafung der am Kapp-Putsch Beteiligten war unter diesen Bedingungen völlig undenkbar.
Gumbel (s.o., S. 61) schreibt dazu:
Die folgende Tabelle zeigt, wie das Verfahren gegen 540 Offiziere, die am Kapp-Putsch beteiligt waren, eingestellt wurde….Dies konnte von den Kapp nahestehenden Kreisen mit Recht als Ermunterung angesehen werden. Sie hatten nur zu einem noch nicht ganz zeitgemäßen Mittel gegriffen. Es galt ihr Werk zunächst mit legalen Mitteln fortzusetzen, den durch die Niederschlagung des Kapp-Putsches zerstörten Apparat wieder instand zu setzen. Um dann mit anders gearteten Mitteln das selbe Ziel, die Zerstörung der Republik, fortzusetzen.
Zu den Gewinnern gehörte das Militär. Die Reichswehr festigte mit den Aktionen gegen die kämpfenden Arbeiter ihren Status in der Weimarer Republik und blieb dennoch durch und durch monarchistisch, nationalistisch und antidemokratisch. In Verbindung mit den Freikorps blieb die Reichswehr bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten ein Unsicherheitsfaktor.
Verlierer in dieser Auseinandersetzung waren die kämpfenden Arbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet. Sie waren zur Verteidigung der Republik im März in den Generalstreik getreten und wurden im April von denen verfolgt, gejagt, getötet, gegen die sich ihr erfolgreicher Generalstreik gerichtet hatte.
Ihr Verdienst ist es, mit letzter Konsequenz bis zur Aufgabe des eigenen Lebens gekämpft zu haben.
Ihr Verdienst ist es, den größten bewaffneten Aufstand der deutschen Arbeiterbewegung gewagt zu haben für die demokratische und sozialistische Erneuerung Deutschlands. Sie wollten mit ihrem bewaffneten Widerstand auch die Ergebnisse der Novemberrevolution von 1918/19 verteidigen.
Der größte Verdienst der Arbeiterbewegung besteht allerdings darin, dass ihr bewaffneter Kampf 1920 eine Militärdiktatur verhindert hat.
Gedenktage wie heute sind richtig und notwendig Menschen dafür zu mobilisieren wird immer schwieriger. Diejenigen – so wie wir – die gegen das Vergessen, das Verdrängen und Ignorieren aktiv sind, wir selber sollen nicht leugnen, dass wir wenige sind und wahrscheinlich auf absehbare Zeit auch in der Minderheit bleiben werden.
Auch aus dieser Position heraus hat das „Bündnis gegen Rechts” durch eigene Mobilisierung und in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen – u.a. mit der VVN – in Bochum Zeichen gesetzt.
2008 haben wir den Aufmarsch der NPD zwar nicht verhindern können. Wir konnten aber mehrere 1000 Menschen gegen die NPD zum Protest und Widerstand aufrufen.
2009 haben wir in Wattenscheid die Ausstellung „Opfer rechter Gewalt” gezeigt. Diese Ausstellung dokumentierte eindrucksvoll, dass seit 1990 mehr als 140 Menschen in Deutschland durch Skinheads und andere zutiefst rassistisch und ausländerfeindlich handelnde Personen und Organisationen ermordet worden sind.
Rassismus („Abendland in Christenhand”) und Ausländerfeindlichkeit ist auch das Kennzeichen von „pro-NRW”. Vor 2 Tagen, am 26.3.2010, konnten wir zeigen, dass mehr Menschen gegen „pro-NRW” auf die Straße gehen, ein Vielfaches mehr, als sie selber aufbringen können.
Aber durch Zahlen allein werden die Hetzereien nicht gebannt:
- wenn die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise noch deutlicher werden
- wenn immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren
- wenn Existenzangst weitere Bevölkerungsschichten ergreift
- wenn die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich immer groteskere Züge annimmt
dann beeinflussen und verstärken die Neonazis und Rassisten von „pro-NRW” und NPD die Stimmung und das Denken, dass die Schuldigen für diese Lebensbedingungen die Menschen
- anderen Glaubens
- anderer Herkunft
- anderer Hautfarbe
sind.
Was also ist zu tun?
Im Aufruf vom „Bündnis” gegen die jetzt abgesagte Kundgebung der NPD vom 10.4.2010 steht, was für die Zukunft gilt:
- Die Lügen der NPD sind längst durchschaut
- Über die Gefahr rechter Gewalt muss verstärkt aufgeklärt werden.
- Nie wieder Faschismus, es gilt den Neonazis entgegenzutreten.
Ich danke Euch/Ihnen fürs Kommen.
Ich danke Euch/Ihnen fürs Zuhören.
Uli Borchers
Bochumer Bündnis gegen Rechts