Verachtet-Vertrieben-Verfolgt
Eröffnung der Ausstellung durch Roman Franz
Bei der Eröffnung der Ausstellung über die Verfolgung der Sinti und Roma in Bochum und Wattenscheid am 21. Januar 2011 im Ottilie-Schoenewald-Weiterbildungskolleg
hielt Roman Franz (Erster Vorsitzender des Landesverbandes NRW Deutscher Sinti und Roma) folgende Rede:
Sehr geehrter Herr Brinkmöller-Becker, lieber Herr Kunold, Frau Wissmann,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich bedanke mich für die Einladung zu dieser Ausstellungseröffnung.
Sinti und Roma mussten am nachhaltigsten und schwersten erfahren, dass das Vergessen und Verdrängen der Nationalsozialistischen Verbrechen der erste Schritt zu neuer Ablehnung und neuer Ausgrenzung ist.
Wenn das heutzutage – zum Glück- anders ist, so liegt es ganz sicher auch daran, dass wir in unserer Arbeit gegen das Vergessen Verbündete haben, wie die Bochumer VVN.
Vor sechs Jahren bekam der kleine Park am Bochumer Rathaus den Namen „Apollonia-Pfaus-Park“. Das ging im Wesentlichen auf Ihre Initiative und Beharrlichkeit zurück.
Und Ihre Ausstellung über die Verfolgung der Sinti und Roma aus Bochum, ist eine der umfangreichsten und informativsten örtlichen Dokumentation dieser Geschichte.
Meine Damen und Herren!
Die rassistische Ausgrenzung und Vernichtung unserer Minderheit unter dem Nationalsozialismus war nicht schicksalhaft oder zufällig, sie lag auch nicht nur in den
Händen einer kleinen Gruppe,sondern fand aktive Beteiligung und breite Zustimmung
in den Städten und Gemeinden – auch in Bochum. Es gab eine Politik, die zu Auschwitz
führte und es gab ein Öffentliches handeln, das den Massenmord erst möglich machte
und organisierte.
Das die Ausstellung diese Zusammenhänge ausführlich und überzeugend darstellt, muss ich an dieser Stelle nicht erklären.
Ich möchte vielmehr ein paar grundsätzliche Bemerkungen voranstellen:
Roma und Sinti sind historisch fest verankerte, nationale Minderheiten im jeweiligen Heimatland, unabhängig davon, ob sie dort als solche staatlich anerkannt sind oder
nicht. In allen Ländern gibt es zumindest kleine Gruppen der etwa 10-12 Millionen
Angehörige dieser Volksgruppe. Sinti nennen sich die alteingesessenen Angehörigen der
Minderheit im deutsch sprechenden Mitteleuropa. Sie sind seit dem 15. Jahrhundert
im deutschen Sprachraum beheimatet, „ Sinti“ ist im Romanes, in unsrer Sprache, die
Selbstbezeichnung dieser Minderheitengruppe. Roma nennen sich vor allem die
Minderheitengruppen in Osteuropa. Die Vorfahren der deutschen Roma kamen vorwiegend im 19. Jahrhundert in die Länder des deutschen Reiches. Der Begriff Roma
wird aber auch international als übergeordneter Begriff verwendet („Rom“ heißt Mensch)
In Deutschland leben ca. 80.000 deutsche Sinti und Roma. Die Zahl der Roma mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit wird auf noch einmal ca. 60- 70.000 geschätzt. Bei uns in Nordrhein-Westfalen liegen die geschätzten Zahlen bei ca. 35.000 Angehörigen
der deutschen Minderheit, und ca. 25.000 mit „Zuwanderer Status“.
Sinti und Roma sind bis heute in allen Gesellschaften mit rassistischer Ausgrenzung konfrontiert. Sie blicken in Deutschland und auch in vielen anderen Ländern Europas auf eine kontinuierliche Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte zurück, die bis in unsere Zeit reicht. Diese Geschichte hatte mit der systematischen Ermordung von
schätzungsweise 500.000 Angehörigen unserer Minderheit durch die National-
sozialisten ihren schrecklichen Höhepunkt.
In Deutschland leitete unsere Bürgerrechtsbewegung seit Ende der 1970er Jahre einen Prozess der Aufklärung und des Umdenkens ein, der 1995 zur Anerkennung der
deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit führte. Leider steht der politischen
aber immer noch keine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung gegenüber. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Bundesländer sich seit über 15 Jahren weigern,
konkrete Schutz- und Förderregelungen abzuschließen – auch Nordrhein-Westfalen.
Eine Folge davon ist beispielsweise, dass Behörden bei Vorkommnissen immer noch folgenlos Hinweise auf die ethnische Zugehörigkeit an die Medien geben können.
Eine weitere Folge ist, das junge Sinti oder Roma aus Angst vor Nachteilen weiterhin ihre Identität möglichst verheimlichen, wenn es um Schule, Ausbildung und Arbeit
geht. Von Normalität und Chancengleichheit ist das noch weit entfernt.
Meine Damen und Herren !
Die europäischen Länder rücken immer enger zusammen, das macht es notwendig, dass wir auch die Situation von Menschen aus anderen Staaten bei uns intensiver in den Blick nehmen, und auch die Lage von Minderheiten in deren Heimatländern.
Die Situation der Roma, die oft schon vor 10, 15 und mehr Jahren als Bürgerkriegs-
flüchtlinge und als Opfer von Gewalt und Vertreibung zu uns gekommen sind, findet nicht mehr viel öffentliches Interesse.
Es gibt zwar an manchen Orten sehr engagierte Organisationen und Netzwerke. Dieses Engagement ist sehr anzuerkennen. Es nimmt den betroffenen Menschen jedoch leider
nicht ihre Angst vor Abschiebung und neuer Entwurzelung und nicht ihre täglichen Existenzsorgen. Sie bleiben dem Abschiebungsdruck und den Einschränkungen ausge-
liefert, solange es nicht endlich eine wirkliche Bleiberechtsregelung gibt. Das betrifft inzwischen immer mehr junge Menschen, die hier geboren sind und die die
Herkunftsländer ihrer Eltern gar nicht kennen.
Die neue Landesregierung in NRW hat Schritte unternommen, die vielleicht zu einer menschlicheren Flüchtlingspolitik führen. Dazu gehören der Erlass zur Vermeidung
von Härtefällen und die Lockerung der Residenzpflicht vom September 2010.
Außerdem hat sie die Abschiebungen für die Winterzeit bis Ende März 2011 ausgesetzt,
NRW ist damit aber allein, und wir wissen derzeit auch noch nicht, wie beständig diese Richtlinien sind und wie die kommunalen Behörden sie tatsächlich umsetzten.
Wir müssen darüber hinaus feststellen, dass sich die Situation der Roma in vielen Län-
dern Europas in den letzten 2-3 Jahren verschlechtert hat und dass die Stimmung gegen die Stimmung gegen die Roma-Minderheiten durch die Politiker nicht selten
radikalisiert wird. Die Perspektivlosigkeit und der gewalttätige Rassismus führen dazu, dass Roma erneut ihre Heimatländer verlassen, manche von ihnen flüchten zum
wiederholten Mal, was sie dann bei uns oder anderen westeuropäischen Ländern in aussichtslose Asylverfahren, oder sogar in die Illegalität treibt.
Dann schieben westeuropäische Länder zugewanderte Roma in spektakulären Aktionen ab, wie Frankreich im vergangenen Herbst. Oder sie tun es mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie Deutschland.
Wenn nicht jedes Land lernt seine Minderheiten zu achten und zu schützen, werden wir diesen Teufelskreis wieder und wieder erleben. Damit werden die gesellschaftlichen Spannungenradikalisiert und die Gräben zwischen den Menschen vertieft.
Meine Damen und Herren!
Der geschichtliche Rückblick auf den damaligen Rassismus und seine Folgen ist immer
ein Appell an unsere Verantwortung für die Gestaltung unseres Zusammenlebens
heute. Der Sinn des Erinnerns und der Sinn unserer Ausstellung ist nicht Anklage und Schuldzuweisung, sondern Information und Ermutigung zum Handeln.
Heutige Erscheinungen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind keineswegs harmloser als damals. Es bleibt daher notwendig wachsam zu sein und sich für ein MITEINANDERLEBEN in Vielfalt und Achtung einzusetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.