Was ist eigentlich Faschismus?
Wolfgang Dominik
Was ist eigentlich Faschismus?
Ich habe mich seit meinem politischen Geburtstag am 2.Juni 1967 in der Erwachsenenbildung und als Lehrbeauftragter an der Uni Dortmund schwerpunktmäßig lernend und lehrend mit dem Thema beschäftigt. Da es viele Meter Literatur zum Thema gibt, muss ich hier Schwerpunkte setzen. 30 Minuten!!
Auslöser für diesen Abend waren Diskussionen innerhalb der VVN, wen oder was „man“ als faschistisch bezeichnen kann und darf. Gegenwärtig wird so alles Mögliche als faschistisch bezeichnet: Trump, Erdogan, umgekehrt Deutschland und Holland von Erdogan, die polnische oder ungarische Regierung, die AfD, der Front National, in der Weimarer Republik bezeichneten sich SPD und KPD gegenseitig als“ rotlackierte Faschisten“ oder „Sozialfaschisten“, religiöse Fanatiker wie etwa der IS und seine Anhänger. Die Reihe lässt sich endlos fortsetzen.
Ich will Kriterien aufzeigen, um einer Inflation des Faschismus-Begriffs vorzubeugen. Es ist aber hier nicht die Zeit, sozusagen in einem globalen Rundumschlag mal einfach alles (zu) kurz zu analysieren. Die geopolitischen, geoökonomischen und geostrategischen Aspekte sind selbstverständlich hier nur angedeutet.
Wozu Beschäftigung mit Geschichte?
Die Analyse von geschichtlichen Prozessen macht dann Sinn, wenn daraus gleichzeitig 1. Lehren für die Gegenwart gezogen und 2. Perspektiven für die Zukunft entwickelt werden. Vergangenheit ist ja nie vergangen, sondern prägt immer multikausal die Gegenwart.
Es ist klar, dass je nach Klassenstandpunkt Geschichte anders gedeutet wird und andere Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven entwickelt werden. Ob zum Beispiel Krupp und Quandt oder die bei ihnen malochenden Müller und Meyer oder gar die Millionen Zwangsarbeiter_innen Geschichtsforschung und damit Geschichtspolitik betreiben, wird zu unterschiedlichen Ergebnissen und Lehren aus der Geschichte führen. Ernst Bloch sagte einmal, dass jeder Mensch ein Produkt seiner Klasse ist und dass das auch für die Wissenschaftler_innen in allen Fakultäten einer Hochschule gilt. Es gibt auch keine Objektivität der Wissenschaftler_innen, sondern über 1. konstatierende kommt „man“ 2. zu deutenden und 3. zu wertenden Urteilen.
Werte wie die UNO-Deklarationen zu den Allgemeinen Menschenrechten sind verbindlich, werden aber von der Profitlogik des Kapitals zunichte gemacht. Das ist marktkonform.
Bürgerliche Schulen und Hochschulen waren immer marktkonform!
Loyalität gegenüber der herrschenden Klasse ist die Grundqualifikation.
Das folgende gilt als ökonomisch-politische Analyse für jede Gesellschaftsordnung:
Einige Leitfragen, nach Prioritäten geordnet, zur Gesellschaftsstrukturanalyse:
- Wer besitzt oder hat die Verfügungsgewalt über die entscheidenden Produktionsmittel?
- Wer bestimmt Produktion, Distribution, Konsumtion und Austauschbedingungen der Güter bzw. Waren?
- Wie ist das Verhältnis der Klassen und Schichten einer Gesellschaft innerhalb des Produktionssektors als auch außerhalb in staatlichen und anderen gesellschaftlichen Sektoren?
- Wie ist das Geschlechterverhältnis?
Alles das muss auch in der sozio-ökonomischen Entstehungsgeschichte national und global analysiert werden, um Kontinuitäten oder Diskontinuitäten festzustellen, um Vergleichbarkeiten durchzuführen, um Unterschiede zu erkennen. Es gilt nicht nur die jeweilige materielle Basis zu eruieren, sondern auch den jeweiligen geistig-reflexiven Überbau: Also in weitestem Sinne Geistes- und Naturwissenschaften, Religion, ….. „Man“ darf aber weder beim einen oder anderen stehen bleiben, sondern Basis und Überbau stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander.
Multikausalität:
Dialektik: Ökonomie – Ideologie – Politik – Gewalt. Primär ist die politische Ökonomie.
Grundlegende Fragen werden aus dem bisher Gesagten abgeleitet:
Jetzt bezogen auf den Faschismus sind das Fragen
- nach den Trägern und Wählern, der Massenbasis der faschistischen Bewegung und des Faschismus an der Macht,
- nach den Ideologien bzw. Ideologemen, die den Faschismus charakterisieren,
- nach den ökonomischen, sozialen, politischen, militärischen, strategischen Zielen, die der Faschismus anstrebt und durchsetzt,
- nach den Methoden, mit denen diese Ziele durchgesetzt werden sollen und durchgesetzt werden..
Stellt „man“ diese Fragen und beantwortet sie, stellt „man“ fest, dass es folgende Antworten gibt:
- Der Faschismus entwickelt sich in kapitalistischen Ländern und dient der Stabilisierung oder Durchsetzung der Kapitalherrschaft. Außenpolitisch strebt der Faschismus eine imperialistische Expansionspolitik mit Versklavung oder Ausrottung der jeweiligen einheimischen Bevölkerung an. Träger und Massenbasis sind zunehmend Teile aller Kapitalfraktionen, der Militärs (gerade im Deutschen Reich – Revanchismus!), des Bildungsbürgertums, des Kleinbürgertums, sog. alter und neuer Mittelstand, der agrarischen Groß- und Kleinproduzenten, der Kirchen, nichtorganisierte Kopf- und Handarbeiter.
- Um Faschismus als eine andere bürgerliche Herrschaftsform durchzusetzen ist eine Liquidierung des vorhandenen bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus notwendig.
- Das lässt sich nur erreichen durch die gewaltförmige Liquidation der Organisationen und Kader der Arbeiterbewegung. Aber auch bürgerlich-demokratische Kräfte werden verfolgt.
- Jede Form psychischer und physischer Gewalt des Staatsapparates bis hin zum KZ-System ist zur Disziplinierung oder Vernichtung der tatsächlichen oder potenziellen Kritiker_innen legitim und wird vom Justizapparat auch für legal erklärt.
- Zu klären ist immer die Frage nach den Wirkungsfaktoren der „Massenpsychologie des Faschismus“. Wie kommt die Massenbasis auf Grundlage der Massenakzeptanz welcher Ideologie und Taten des Faschismus zustande?
Faschismus-Definition
Faschismus , von fascio, pl.: fasces=Rutenbündel mit Beil, altrömisches Symbol der exekutiven Gewalt, Bezeichnung für die ersten Ortsgruppen der Faschisten in Italien, ist eine bürgerlich-kapitalistische Herrschaftsform, die angewandt wird, wenn sich aus Sicht der Herrschenden, der Privateigentümer an den entscheidenden Produktionsmitteln, für die kapitalistische Krise keine anderen Krisenlösungsstrategien mehr anzubieten scheinen. Anders als bürgerlich-demokratische liberale oder autoritäre Herrschaft zeichnet sich der Faschismus aus durch:
- durch Zerschlagung und /oder Liquidierung der Arbeiterbewegung und ihrer Kader und Organisationen,
- durch terroristische (oder besser: extrem gewalttätiger) Unterdrückung jeder (auch bürgerlich-demokratischer ) Opposition,
- durch terroristisch (s.o.) durchgesetzte großkapitalistische Interessen, z.B. Aufrüstung nach innen und außen, Liquidierung von Arbeiterrechten, Lohnsenkungen, Erhöhung der Arbeitszeiten….. .
- durch Zerschlagung oder Umfunktionalisierung des bürgerlichen Parlamentarismus,
- durch militaristische Durchdringung der gesamten Gesellschaft durch Befehl-Gehorsam, Führerprinzip, also innere und äußere Uniformierung.
- durch imperialistische Pläne und deren militärische Durchsetzung zur ökonomischen, politischen, militärischen und ideologischen Expansion, um a.) an möglichst billige Rohstoffe und b.) an möglichst billige Arbeitskräfte und c.) an möglichst profitable Absatzmärkte (auch für Waffen) zu kommen und d.) strategisch günstige Ausgangsbedingungen für potenzielle militärische Absicherung oder Eroberung von a-c zu erlangen,
- durch die Bündelung verschiedener in Teilen der Besitz- und Bildungsbourgeoisie, des Militärs, des Kleinbürgertums und des Feudaladels und der Kirchen längst vorhandener Ideologien zu einem Strauß, der keinerlei feststehende faschistische Ideologie kennzeichnet, der aber kollektive Mentalitäten der nachfolgenden Art ausdrückt und radikalisiert,
- der mörderische Rassismus war im deutschen Faschismus einmalig: Mindestens 6 Millionen ermordete jüdische Menschen (Shoah) und ca. 500.000 Sinti und Roma. Aber auch Millionen Menschen in der Sowjetunion ließen die Deutschen verhungern, denn Slawen taugten nur als Sklaven. 40.000.000 sollten nach faschistischen Plänen im Laufe der Zeit umgebracht werden.
- Antimarxismus, Antikommunismus, Antisozialismus,
- In Deutschland seit der Russischen Revolution 1917: Antibolschewismus, Russophobie eigentlich schon dem 18. Jahrhundert oder Dschingis Khan und den Mongolen oder Attila und den Hunnen,
- Chauvinismus, Ethnozentrismus, radikalisierter Nationalismus,
- Rassismus, Antisemitismus, 1. biologistische ideologische Konstruktion von Rassen, 2. kulturalistische ideologische Konstruktion von Rassen, 3. geschlechtsspezifische Ideologien von Höher- und Minderwertigkeit, 4. ideologische Konstruktion von Höher- und Minderwertigkeit auf Grund verminderter Möglichkeiten der Verwertung der Arbeitskraft: Krankheit….5. ideologische Konstruktionen von Abartigkeit auf Grund von sexuellen Präferenzen, 6. ideologische Konstruktion von Höher- und Minderwertigkeit gegenüber sonstigen Abweichlern, Minderheiten,
- Herrenmenschenideologien, Untermenschenideologien
- Sozialdarwinismus, Rassen“hygiene“, Vernichtung unwerten Lebens,
- Militarismus,
- Imperialismus, neue Weltordnung unter entscheidender hegemonialer Einflussnahme Deutschlands, 19 14 gescheitert, 1939 schon wieder gescheitert, bis 1990 international zwar imperialistisch-ökonomisch ein Riese, militärisch noch ein Zwerg, 2001 Verteidigung Deutschland am Hindukusch, am Kongo und in weiteren ca. 12 Kriegsgebieten.
- Antipazifismus,
- Antiparlamentarismus,
- Antidemokratische Ideologien,
- Volksgemeinschaftsideologien, völkische Ideologien,
- in Deutschland nach 1918 und dann wieder nach 1945: Revanchismus,
- Obrigkeitslehren,
- Antiintellektualismus,
- Spießertum,
- Romantizismus: Glorifizierung der guten, alten Zeit,
- Law-and-order – Mentalitäten,
- Männlichkeits- und Mütterlichkeitsideologien.
Nur die faschistische Bewegung versprach überzeugend, mit den o.g. Ideologien und politisch-ökonomisch-militärischen Zielen auch Ernst zu machen. Und sie machte Ernst! Und das ist entscheidend: Das Wesen des Faschismus zeigt sich in seiner realen Poltik.
(Hinweis: In der alten BRD wurde zwar offiziell kein direkter Antisemitismus, eher ein Philosemitismus gepflegt, die sonstigen Ideologien überlebten mehr oder weniger ausgeprägt. Vor allem der Antikommunismus wurde aus der Erbmasse des Faschismus sogar noch verschärft übernommen und wurde zur alles beherrschenden Staatsreligion – bis heute ungebrochen! Gerade heute lassen sich diese Ideologien, die den Faschismus ermöglichten und ermöglichen, auch in jüngsten Untersuchungen mit zunehmenden politisch-ökonomischen Krisen, Armut, Sozialraub, Militarisierung der Gesellschaft auch im Inneren, in der Mitte der Gesellschaft immer ausgeprägter finden. Sarrazin ist nicht umsonst 2 Millionen mal verkauft worden! Aber selbstverständlich blieben die lange eingeübten antisemitischen Ideologieelemente erhalten und äußerten und äußern sich in häufigen Straftaten. Die AfD steht nicht umsonst bei vielleicht 10 % bei den nächsten BT-Wahlen da.)
Diese Charakteristika beziehen sich in 1. Linie auf den deutschen Faschismus, der italienische, spanische, portugiesische, da und dort in Osteuropa an die Macht gekommener Faschismus zeigte teilweise andere Schwerpunkte, war aber in seiner Gesamtausrichtung vergleichbar, wenn auch nicht identisch.
Da Faschismus nicht irgendwo einfach so auftaucht, muss zunächst nach den gesellschaftlichen Strukturen gefragt werden, in denen er wächst und eventuell an die politische Macht kommt.
Totalitarismus-Doktrin:
Wer die Sprache beherrscht, beherrscht die Köpfe, die Erinnerung, die Gegenwart, die Zukunft. Sprache ist immer Abbild und Werkzeug. Wer die Termini „Nationalsozialismus“, „Drittes Reich“, „1000-jähriges Reich“ benutzt, benutzt faschistische Propagandabegriffe. Schon immer haben nach 1945 die Täter, die sich schnell in „Demokraten“ verwandelten, die alten eingeübten Termini benutzt. Die Deutungshoheit hatte auch nach 1945 in den Westzonen und in der alten und neuen BRD die Täter von damals bzw. ihre Kinder.
Abgesehen davon, dass kaum jemand genau weiß, was „Drittes Reich“ bedeutet (Wann war das erste? das zweite?) oder welche etymologische und ideologische Redeweise liegt auch historisch dem „Tausendjährigen Reich“ zugrunde, beinhaltet der
Begriff „Nationalsozialismus“ den demagogischen Propagandabegriff der Faschisten für sich selbst.
Mit „national“ sollte das konservative Groß und Kleinbürgertum, die revanchistischen Eliten und die Militärs propagandistisch gewonnen werden, mit „sozialistisch“ erhofften die Faschisten den Einbruch in die sozialistische Arbeiterbewegung. Die Faschisten aber waren objektiv weder „national“ noch „sozialistisch“.
Aber vor allem in der jungen BRD schlug man mit dem Begriff „Nationalsozialismus“ „zwei Fliegen mit einer Klappe“. Den „Nationalsozialismus“ gab es ja mit der propagierten „Stunde Null“ (8.Mai 1945) nicht mehr, aber siehe da, es gab sogar einen Teil Deutschlands, der sich später auf dem sozialistischen Weg „sozialistisch“ befand. Alle Assoziationen zu „Nationalsozialismus“ ließen sich also problemlos für Teile der postfaschistischen Massen auf die DDR, die UdSSR usw. übertragen – s. Kritik an der Totalitarismus-Ideologie! (Extra-Referat). Als ich 1971 Lehrer wurde, habe ich bei der Kultusministerkonferenz nachgefragt, wie weit der sog. Totalitarismus-Erlass aus den 50- und 60ger Jahren eigentlich für mich verbindlich ist. (http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0916_totalitarismus.htm.)
Der Einfachheit halber ließen sich Politiker der – wie auch immer – sozialistischen Länder gleich mit Hitler identifizieren, mit dem faktischen Vorteil: Hitler war tot, aber die Ulbrichts lebten.
„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ Das war bis weit in bürgerliche Parteien und Medien der Grundtenor nach 1945. („Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialem Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.
Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“ – Ahlener Programm der CDU).
Aber in den Westzonen wurden die antifaschistischen Ausschüsse bald an den Rand der Entwicklung gedrängt. Im Faschismus-Begriff ist der Kapitalismus in der Krise als Verursacher des Faschismus konnotiert. Es galt angesichts der kapitalistischen Restauration sofort vom Faschismus-Begriff Abschied zu nehmen, eben um den Geburtshelfer des Faschismus – den Kapitalismus – aus der Kritik zu nehmen. Die ökonomischen Interessen der Westalliierten sorgten mit dafür, den Antifaschismus nicht zum tragenden Element eines Neuanfangs in Westdeutschland werden zu lassen. Über den „Schoß, der noch fruchtbar ist, aus dem das kroch“ (Brecht) sollte nicht nachgedacht werden.
Dem dient die Totalitarismus- oder Extremismus-Doktrin.
Totalitarismus wird grundsätzlich definiert durch
- eine für alle verbindliche Ideologie,
- eine hierarchisch aufgebaute Elitepartei mit dem Führer an der Spitze,
- eine extrem gewaltsame Geheimpolizei,
- ein Nachrichtenmonopol des Staates,
- ein Waffenmonopol des Staates,
- eine zentral gelenkte Wirtschaft.
Totalitarismus kennzeichnet ein System, Extremismus die Bewegung zum Totalitarismus.
Bis in die 60ger Jahre wurde das auch nicht weiter hinterfragt. Mit der Studentenbewegung aber begann auch durch einige aus ihr erwachsende Wissenschaftler die Kritik. (Prof. Faul, Ruhr-Uni, ca. 1970): Was ist jetzt eigentlich der Vatikan?) Die Phänomenologie oder phänomenologische Methode der Totalitarismus-Forschung registriert (längst nicht alle) Erscheinungen oder Symptome einer Gesellschaft, ohne die gesamtgesellschaftlichen Ursachen, die Rahmenbedingungen und den globalen Kontext oder das Wesen der Gesellschaft durch die Analyse der Produktionsverhältnisse zu. Also eine Art positivistischer Fliegenbeinzählerei ohne die Fliege zu sehen.
Also:
- Die Totalitarismusforschung blendet sozio-ökonomische Faktoren aus, also kommen die Produktionsverhältnisse erst gar nicht in den Blick,
- sie blendet geschichtliche Faktoren aus,
- sie blendet alle sonstigen sozio-kulturellen und religiösen Faktoren aus,
- sie blendet sozialpsychologische Faktoren aus,
- sie lässt den globalen Kontext unbeachtet.
Extremismus war schon im 19. Jahrhundert ein Kampfbegriff der herrschenden Klasse, der angewandt wurde auf alle, die nicht im main-stream mitschwimmen wollte. Die Gedanken der Herrschenden sind in der Regel die herrschenden Gedanken. Wer auf andere gesellschaftskritische Gedanken kam und diese auch noch äußerte, wurde als Extremist gebrandmarkt, verfolgt, bestraft bis hin zur Ermordung. Bis heute z.B. gibt es nicht nur in Deutschland für solche Leute auch Berufsverbote u.ä. In etlichen kapitalistischen Ländern kennt „man“ für Abweichler auch noch die Todesstrafe, also staatliche Ermordung. Die Botschaft ist: Bleibt ordentlich in der Mitte. Gegen Abweichler nach rechts ist „man“ dabei durchaus nachsichtig (NPD-Urteil des BVerGer), denn die stellen nicht das kapitalistische Wirtschaftssystem als behauptete beste aller Möglichkeiten in Frage.
Der Radikalismus ist eigentlich positiv besetzt, bekommt aber auch negative Konnotationen und wird oft gleichzeitig mit dem Extremismus-Totalitarismus. Totalitarismus ist die Staatsform, während Extremismus die sozialen Gruppen zu ihr hin kennzeichnen. Die Totalitarismus-„Theorie“ dient den Staaten des sich selbst so nennenden Freien Westens als selbstlegitimierende Integrationsideologie. Wir sind die Demokraten, die anderen sind totalitär, wir sind die Guten…..
Insofern ist immer „Rechts“ gleich „Links“. Aus dieser Perspektive ist z.B. die FNL in Vietnam oder die FARC in Kolumbien „linksextremistisch“, weil sie totalitäre Herrschaftsformen anstrebt. Und die Diktatur des Proletariats ist so schlimm wie die faschistische Diktatur, nämlich totalitäre Herrschaft.
Es gilt, den Totalitarismus- und Extremismus-Begriff zu vermeiden. Um die extreme Rechte zu kennzeichnen, werden von der Faschismus-Forschung die Begriffe rechtskonservativ, konservativ reaktionär, reaktionär-völkisch, faschistoid oder eben faschistisch benutzt.
Karin Priester hat in ihrem neuesten Buch „Warum Europäer in den Heiligen Krieg ziehen“ von Dschihadismus in seiner brutalsten als von einem präfaschistischen Prozess gesprochen. Sie wendet sich wie viele Faschismus-Forscher_innen entschieden gegen einen Begriff wie Islamofaschismus. Im wesentlichen ist dieser Begriff ein politisch-propagandistischer Kampfbegriff, den u.a. George W. Busch 2006 gegen die Hisbollah und die sie unterstützenden Staaten anwandte und den viele heute gerne anwenden, um den Islam insgesamt mit einer faschistischen Note zu versehen. Das tun ganz besonders gerne solche Politiker_innen Wissenschaftler_innen, Bewusstseinsindustrielle, die rechten Vorstellungen sehr nahe stehen.
Auch wenn ein ethnisches Attribut (z.B. Josef Fischer: Serbischer Faschismus) zur näheren Kennzeichnung irgendeines angeblichen Faschismus benutzt wird, führt das in die Irre. Damit würden wir nachträglich übrigens Leuten wie Josef Fischer recht geben, der beim Überfall der NATO auf YU u.a. davon gesprochen hat, ein neues Auschwitz zu verhindern, der also damit einen quasi serbischen Faschismus propagierte. Verfolgte des Naziregimes wie Esther Bejerano haben damals heftig protestiert – in die Qualitätsmedien gelangte der Protest nicht oder wurde als kommunistisch oder pro-serbisch diskriminiert. Sein damaliger Kriegsministerkollege fügte dem noch erlogene Grausamkeiten der Serben hinzu.
Nicht jede auch noch so gewaltförmige brutale Diktatur oder Autokratie in Vergangenheit und Gegenwart darf faschistisch genannt werden, sonst begibt „man“ sich auf den phänomenologischen Weg und verharmlost den deutschen Faschismus. Das Spezifische, die Ursachen, das Wesen des deutschen und anderer faschistischer bürgerlicher Herrschaftsformen geht auf diesem phänomenologischen Weg verloren und der Faschismus-Begriff wird beliebig brauchbar, denn von blutigen Kopfabschneider-Verhältnissen ist die Geschichte der Menschheit voll. Das waren aber alles keine faschistischen Verhältnisse.
Faschismus ist nicht ein beliebiger Begriff für jedwede Grausamkeit!
Bürgerliche Geschichtswissenschaftler_innen versuchen immer, Geschichte
- zu entökonomisieren,
- zu enthistorisieren,
- zu entpolitisieren.
Speziell beim Faschismus gilt es, „Kapitalismus führt zum Faschismus“ als unwissenschaftlich darzustellen. Horkheimers berühmter Satz „Wer vom Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen!“ soll obsolet werden und damit die gesamte Faschismus-Forschung.
Die beliebtesten Methoden bürgerlicher Geschichtswissenschaftler_innen sind u.a.
- Personalisierung
- Psychologisierung
- Pathologisierung
- Dämonisierung
- Hagiographie
- Mythologisierung
- Meteorologisierung
- Biologisierung
- Ontologisierung
- Kriminalisierung
- Fetischisierung
- Personalisierung
- Privatisierung
- Moralisierung
- Naturalisierung
- Anthropologisierung
- Relativierung
Einige Lit.-hinweise:
Kurt Pätzold, Faschismus – ein hierzulande entsorgter Begriff, in: Ossietzky 21/2015, S. 755 ff
Ich verweise ganz allgemein auf Reinhard Kühnl, Wolfgang Abendroth, Werner Hofmann, Reinhard Opitz, Kurt Pätzold, Kurt Weißbecker, Wolfgang Wippermann und natürlich viele andere und deren zahlreichen Untersuchungen zum Faschismus.
Eine erste gute Einführung:
Guido Speckmann/Gerd Wiegel, Faschismus, Köln 2012 (9,90 Euro).
Hinweise:
Globaler Kontext:
Der Kapitalismus muss natürlich durch die Entwicklung der Produktionsmittel und der einhergehenden Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse erklärt werden Im Überbau fanden gleichzeitig vehemente Entwicklungen statt, die es so nur in Teilen Westeuropas gab. Naturrecht statt Gottesrecht, Scholastik, Reformation, Aufklärung, Humanismus, Liberalismus, bürgerliche Revolutionen oder Revolutionsversuche, Wahlrecht und die Auswirkungen auf andere Länder sowie Herausbildung einer systematischen kapitalistischen Produktion mit gleichzeitigem und notwendigem Kolonialismus und Imperialismus. Die Bourgeoisie durchlief dabei einen ca. 800 Jahre langen Prozess. Die Herausbildung des Nationalstaates mit neuen nationalistischen Ideologien dauerte unterschiedlich lange. Die Entwicklung war nur möglich durch Zurichtung der Teile der Welt, die dann nutzbringend für das Kapital geraubt wurden (Kolonialismus – Imperialismus).
Der subjektive Faktor des Faschismus
Kritische, nicht die bürgerliche Psychologie, bezeichnet jeden Menschen als das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse (Holzkamp). D.h., dass jeder Mensch schon pränatal, dann natürlich nach der Geburt, psychische Strukturen sozusagen mit der Muttermilch vermittelt bekommt, das soziale Erbe. Sozialisation heißt ja Vergesellschaftung. Und auf was hin soll der Mensch durch alle Sozialisationsagenten funktional gemacht werden? Er soll innerhalb des kapitalistischen Gesamtsystems ein marktkonformer Lohnabhängiger sein. Von der Wiege bis zur Bahre wird er direkt oder indirekt zur Ware. Der autoritäre Charakter braucht ein autoritäres Korsett aus Angst vor der Freiheit. (Adorno, Horkheimer, Reich, Fromm, Tillmann….). Georg Fülberth hat einmal gefragt, wie jemand, der heute die lange kapitalistisch-neoliberale Vergesellschaftung erlitten hat und sich frei fühlt, überhaupt auf sozialistische Gedanken kommen kann.
Multikausalität
Dialektik: Ökonomie – Ideologie – Politik – Gewalt.
Letztlich gilt immer das Primat der Ökonomie, die Politik und der Krieg sind Fortführung der Politik mit anderen Mitteln (Tucholsky). Das Ganze muss ideologisch durch die Sozialisationsapparate abgesichert und abgesegnet sein.
Robert Owen Paxton
Ein „authentischer populärer amerikanischer Faschismus“ ist für Paxton denkbar. https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Paxton
Paxton entwirft ein in der gegenwärtigen Faschismus-Forschung diskutiertes 5 Stadien-Modell.
- Die Entstehung der faschistischen Bewegung
- Die Verwurzelung im politischen System
- Griff nach der Macht
- Machtausübung
- Die längerfristige Entwicklung zwischen Radikalisierung und Niedergang.
Dass es in diesem Sinne faschistische Bewegungen gibt, ist klar. Auch dass diese Bewegungen im politischen System mehr (?) oder weniger(?) verwurzelt sind, ist offensichtlich. Beim Griff nach der Macht muss „man“ feststellen, scheitern die meisten Bewegungen, was aber ihren Einfluss auf andere Parteien nicht mindert.
Droht ein neuer Faschismus?
- Die kapitalistischen Staaten haben auch in zurückliegenden Krisensituationen keinen Grund gesehen, zu faschistischen Lösungsstrategien zu greifen. Die bürgerliche Demokratie funktioniert. Es gibt massenhafte Steuerungsmöglichkeiten, selbst wenn es kapitalismuskritische Bewegungen gibt: Pasolini hat schon vom technologischer Faschismus gesprochen, Erich Fromm vom Konsumfaschismus. Billiger als Zwang und Gewalt im KZ ist es, wenn Massen sich bei Whisky und Video oder mit ihren Computern im eigenen Wohnzimmer einschließen und das Freiheit nennen. Richard Sennet spricht schon seit dem 11.9.2001 und den Folgen vom sanften Faschismus in den USA, über Faschisierung der kapitalistischen Gesellschaften wird immer wieder nachgedacht. Vereinzelung und gesellschaftliche Atomisierung lassen massenhaften antikapitalistischen Widerstand unmöglich erscheinen.
- Es gibt auch nicht ansatzweise eine Massenbasis für den Faschismus. Vor allem brauchen auch fast alle Angehörigen der sog. Eliten gegenwärtig keinen Faschismus, weil die ökonomisch-politische Situation eine andere ist als in den dreißiger Jahren des letzten Jhdts. Das schließt nicht aus, dass bei Verschärfung ökonomischer Krisen durchaus vereinzelt auf faschistische Methoden zurückgegriffen wird.
- Es gibt aber auch keine Massenbasis für den Antifaschismus. Beides hängt damit zusammen, dass Massen sich aus Resignation und „Politikverdrossenheit“ selbst von den Wahlen zurückgezogen haben. Und wenn sie wählen, wählen sie zu 95% die bürgerlichen Parteien, die noch mehr Krieg, soziale Grausamkeiten, geistige und körperliche Verelendung versprechen. Der „Normalo“ ist der 95 %ige, der so denkt, handelt, fühlt wie die anderen 95%.
- Es gibt seit dem Sieg des Kapitalismus über die Staaten des „Realen Sozialismus“ auch keine massenwirksame Alternative mehr zum Kapitalismus. Das internationale Kapital braucht nicht mehr mit irgendwie gearteten sozialistischen Ländern konkurrieren. Die Wolfsgesetze des Kapitals gelten seit 1990/91 grundsätzlich ungebremst. Ein sozialer Träger gegen die kapitalistische Weltherrschaft ist gegenwärtig nicht zu sehen. Eine sozialistische Bedrohung, der konterrevolutionär mit bürgerlich-faschistischer Herrschaft zu begegnen ist, ist nicht zu sehen.
- Massenmedien haben im Klassenkampf natürlich immer mitgewirkt. Es gibt heute kein nennenswertes Medium, das über dazu noch wohl proportinierte systemstabilisierende Detailkritik hinaus informiert.
- Die Gewerkschaften waren meist seit ihrer Gründung Ordnungsfaktor im Kapitalismus und nicht Gegenmacht. Das gilt heute in den entwickelten kapitalistischen Ländern mehr denn je.
- Bürgerliche Demokratie ist über vielfältigen Agenten vom Kindergarten bis zur Hochschule und den Massenmedien immer Diktatur der Bourgeoisie. Seit dem „Kommunistischen Manifest“ ist das tausendmal beschrieben. Alle 3 Sekunden, in denen wir hier zusammensitzen, wird ein Mensch durch Hunger oder durchaus vermeidbare Krankheiten ermordet. Jedes Kind hat eine(n) Mörder-in. (Jean Ziegler), täglich 40.000. (gerade heute im WDR 5 wird Ziegler so mal wieder erwähnt, die Bücher von Ziegler gibt es alle für wenig Geld als Taschenbuch).
- Dass weltweit rechte, nationalistisch-chauvinistische Politikstrategien sich ausbreiten, ist offensichtlich. Auf die Bundesrepublik bezogen: Ich habe erlebt, wie erst die NPD, dann die Republikaner und DVU, jetzt die AfD als Parteien der extremen Rechten Lokomotivwirkung hatten oder haben. Die bürgerlichen Parteien einschließlich der SPD und Grünen haben nun Sätze im Programm, die „man“ wenige Jahre vorher noch für Gedankenungut von Rechtsaußen gehalten hätte.
Es gab und gibt im postfaschistischen Deutschland eine Fülle von ideologischen Kontinuitäten der präfaschistischen und faschistischen Zeit. Chauvinismus, Antikommunismus, Antisemitismus, Rassismus, Sozialdarwinismus u.a. Das mag in etlichen Fällen bei Teilen von Parteien oder Gruppen oder Einzelpersonen zu faschistischen Einstellungen, da und dort auch zu faschistischen Methoden führen, bedeutet aber nicht, dass es „morgen“ einen neuen Faschismus an der Macht gibt. Selbstverständlich sind auch manche Methoden mancher Personen oder Programme mancher Parteien oder Organisationen faschistoid oder faschistisch, aber insgesamt scheint ein Griff nach der Macht bisher nicht denkbar.
Die Merkmale faschistischer Bewegung sind ja:
- ideologische Bezugspunkte
- soziale Basis
- organisatorische Ausrichtung
- soziale Funktion
- politische Praxis.
Außer über 1 kommt aber selbst die NPD nicht hinaus. Organisatorisch sind manche Verbrechen von neofaschistischen Schlägertrupps vergleichbar mit der SA. Eine Führerposition gibt es weder bei der NPD noch bei der AFD.
Am ehesten ist denkbar, dass politische und ökonomische Krisen vor allem in Osteuropa den Einfluss dortiger relativ großer faschistischer Bewegungen zu stärken.
Auch was die Präsidenten Trump und Erdogan gegenwärtig so an Demokratieabbau treiben, kann beunruhigen – aber die bürgerliche Demokratie ist noch nicht ausgehebelt. Außerdem ist der internationale globalisierte ökonomische und politische Druck gegenwärtig nicht auf Faschismus als bürgerliche Herrschaftsform aus. Selbst scharfe Kritiker_innen dieser Präsidenten hoffen jetzt schon auf die nächsten Wahlen.
Ich gebe aber zu, dass ich den moralisch-politischen Begriff Faschismus benutze, um nicht umständlich Autokratie, Bonapartismus, Klerikalfaschismus, klerikale Diktatur, Francismus (von Franco), reaktionäre Diktatur, Militär- und/oder Polizeidiktatur, exportierter Faschismus, exportierter Militärfaschismus…. definieren zu müssen.