„Der Iwan kam bis Lüdenscheid“
Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit
Uli Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, hat im Mai ein neues Buch herausgegeben, das auch den Titel „Ungesühnte Verbrechen dem Vergessen entrissen –
Sklavenschicksale neben uns“ hätte tragen können. Der Autor nannte es: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“.
Er hatte, als Mitarbeiter des „Heimatvereins
Lüdenscheid e.V.“ und mit Hilfe des Stadtarchivs,
das Glück, rund 7500 Personalien zu erkunden und
damit vermutlich 1500 überlebenden
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus
dem Raum Lüdenscheid zu einer Entschädigung
verhelfen zu können.
In einer Industriestadt in der Provinz, konnte Uli
Sander exemplarisch repräsentative Fakten über
ein besonders schweres Verbrechen des deutschen
Faschismus erarbeiten. Er wirkte in der
entscheidenden Phase des Ringens um
Zwangsarbeiterentschädigung, als US-Konzerne
sich anschickten, mit juristischen Mitteln deutsche
Konzerne wegen ihrer Marktvorteile zu Zeiten der
NS-Zwangsarbeiterausbeutung vom Markt zu
verdrängen.
Da wurde es möglich, die 55 Jahre erfolglos
aufgestellte Forderung der Opferverbände nach Entschädigung von 13 Millionen Opfern auf die Agenda zu setzen – bis dann 2001 ein entsprechendes Gesetz angenommen
wurde.
Die Nachweiserbringung wurde auch in Lüdenscheid den Archivaren nicht leicht gemacht. Von Versuchen der Verhinderung des Projekts durch örtliche Wirtschaft und konservative Politik bis zum Einbruch und Datenklau im Rathaus, in den Räumen des Stadtarchivs, falschen Auskünften bis Verweigerungen der Mitarbeit, etwa des größten
Spielzeugautoherstellers, der Fa. Sieper, reichte die Einflussnahme.
Der Mord an einer unbekannten Zahl von Montenegrinern auf Befehl des Gauleiters wie an Insassen des Arbeitserziehungs-
lagers Hunswinkel gehört zu den
düstersten Enthüllungs-
geschichten des Arbeitsjournals, das hier vorgelegt wird und das bisweilen zu einem sehr
persönlichen, ungewöhnlichen
Tagebuch gerät. Die darin
erzählte Geschichte findet auch heute noch keinen Abschluss.
Entschädigungsforderungen für
sowjetische ZwangsarbeiterInnen mit Kriegsgefangenenschicksal,
Forderungen an die Bahn, die Verbrechen der Reichsbahn betreffend und an die ganze deutsche Republik, den griechischen und italienischen Opfern zu helfen, geraten wieder auf die Tagesordnung.
Die Erfahrungen aus diesem Buch aus der Zeit, da Iwan und all die anderen Sklaven bis nach Lüdenscheid kamen, bleiben aktuell.
Ulrich Sander, *1941, Journalist und freier Autor, Bundessprecher der VVN-BdA. Zahlreiche Bücher und Zeitschriftenbeiträge. Zuletzt bei PapyRossa: „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“.