Rede Rolf Eulers zur Veranstaltung zur Erinnerung an den Kapp-Putsch
Gedenken an den Kapp-Putsch 24. 3. 2024 in Bochum
Angesichts der realen Kriege, die gerade stattfinden, mag es schwierig sein, sich auch noch mit der Vergangenheit zu befassen, an der wir nichts ändern können – jedoch treffen wir uns in der Hoffnung, in der Gegenwart was zu ändern.
Erich Kästner schrieb:
„Die Erinnerung ist eine mysteriöse
Macht und dreht die Menschen um.
Wer das was gut war vergisst, wird böse.
Wer das was schlimm war vergisst, wird dumm.“
Beides wollen wir nicht und gedenken hier der Kapp-Putsch-Opfer.
„Die Nachricht vom reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin, die am Samstagmorgen des 13. März 1920 in Bochum eintraf, löste wie überall im Rheinisch-Westfälischen-Industriegebiet, große Unruhe und hektische Betriebsamkeit aus. Die Menschen füllten die Straßen und Plätze in den Städten und Gemeinden, sprachen erregt über die politische Entwicklung. Viele Beschäftigte verließen die Betriebe, Rufe nach dem Generalstreik wurden laut.“
Wenn wir an die Zeit vor über 100 Jahren im Ruhrgebiet zurückdenken, dann:
– wir reden über Ermordete und Mörder
– wir reden über Krieg und die Folgen
– wir reden über die Vorgeschichte des deutschen Faschismus
– wir reden über Menschen, und was Krieg und Hass aus ihnen machen.
So wollen wir auch dem Widerstand gedenken, den sozialistischen und radikaldemokratischen Idealen, die von den Freikorps bekämpft wurden.
Und: wir reden über die Zukunft einer kriegerischen Gegenwart !
Die Vorgeschichte des Kapp-Putsches, der Widerstand dagegen unter anderem durch Streiks und durch die Rote Ruhr-Armee, seinen Zusammenbruch, und die Wiederauferstehung der Kapp-Putschisten als Truppen, die in Deutschland die Ruhe und Ordnung im Auftrag der sozialdemokratisch geführten Regierung wiederherstellen sollten – das alles ist lange bekannt, und ich muss das nicht erneut erzählen.
Offiziere und Soldaten, die mit der Errichtung der Republik nicht einverstanden waren, aufgehetzt durch die „Dolchstoßlegende“, aufgeheizt durch ihre Niederlage, in frauenfeindlichen Männerphantasien schwelgend, wie sie Theweleit beschrieben hat, feierten sich im Kampf gegen „die Roten“, gedeckt durch die jeweiligen Regierungen.
Die Karriere dieser Freikorpsführer begann zum Teil bei dem Völkermord an den Herero, beim Krieg gegen die Rote Armee im Baltikum, Theweleit förderte ein Psychogramm zutage von Männern, „für den es ohne Waffe, ohne Kampf kein Leben gibt.“
Erneut nachzulesen in dem neuen Buch von Norbert Kozicki zur Geschichte der Freikorps:
„Friedrich Eberts Regierungstruppen nach der Novemberrevolution“, welches er auch „Beiträge zum Ursprung des deutschen Faschismus“ nennt.
Die bekannte, heute aber oft nicht mehr gehörte Geschichte geht ja so: nach der abgebrochenen und bekämpften Revolution 1918 beauftragte der SPD-Reichswehrminister Noske 1919 einen der Kriegsverbrecher aus Afrika, den Obersten Epp „mit der Aufstellung eines Freikorps zur Bekämpfung des inneren Feindes.“ Bekannt wurde Epp durch „Niederbrennen von Dörfern und Massakrierung der Bevölkerung“ der Herero und Nama.
Diese Truppen, die sich dann Freikorps nannten, wurden gegen die Bergleute und Arbeiterräte im Ruhrgebiet eingesetzt, die gerade noch die Republik vor dem Kapp-Putsch bewahrt hatten.
Sie richteten in mehreren Städten Standgerichte ein, die vor allem den Arbeiterräten und -Ausschüssen galten. Hermann Bogdal berichtete vor vielen Jahren in seinem Buch „Rote Fahnen im Vest“ unter anderem davon.
(Ich zitiere Kozicki: S. 157 über die Morde an vier Bergleuten aus Recklinghausen)
Es wurden damals Listen von revolutionären, sozialdemokratischen oder verdächtigen Arbeitern angelegt von einem Spitzel, der an den Innenminister berichtete, der dann wiederum die einrückenden Truppen mit Namenslisten von Linken versorgte.
Solche Karrieren gab es, die den Mördern in die Hände spielten, erneut unter dem Befehl von SPD-Noske.
Kriege und das daraus resultierende gesellschaftliche Chaos, aber auch die herrschende männerbündische Befehls- und Gehorsamswelt der Soldaten machen Menschen zu Mördern. Und das war dem aufkommenden Faschismus damals in Deutschland gerade recht: Gehorsam bis im Krieg erneut die tödliche Saat aufging.
Wir erinnern uns der Zeit, als wir politisch bewusst wurden, als viele alte Nazis in Positionen waren, als Vietnam mit einem grausamen Krieg überfallen wurde.
Wir trauern dies Jahr erneut um so viele Menschen, die in der Ukraine, in Israel und Palästina Soldaten zum Opfer fallen.
Und wir sehen, dass sich auch die Linke entzweit, wenn es um die richtige Antwort auf die Kriege geht. Wir sehen eine schwache Friedensbewegung, wir sehen kaum Widerstand in Betrieben und Gewerkschaften. Wir sehen aber auch die vielen Menschen, die gegen die extreme Rechte auf die Straße gingen.
Erinnern wir auch an die Traumata, die der Krieg bei allen auslöst, die ihn überleben, und der Hass, der unweigerlich erneut genährt wird.
Eine friedensfähige Zukunft, eine andere Welt, die möglich ist, scheitert nicht an den Kriegen der Vergangenheit, aber an den Vorbereitungen auf weitere Kriege.
Eine Lehre, die aus dem Kapp-Putsch und seinen Opfern zu ziehen wäre ist: alles zu tun Kriege zu verhindern, und solidarische Strukturen zu haben, um Krisen resilient angehen und überstehen zu können.
Zum Schluss zitiere ich aus der Zeitschrift AMOS 1-2024 zum Thema
„Fried Fertig statt Kriegstüchtig“ ein Gedicht von Gerhold Strack:
NIE WIEDER!
Wieder wird Vernunft zur Agentin der Feinde erklärt
und Humanität zum Luxus.
Wieder walzen Profit, macht und Gier durch die Länder
und fordern von verzweifelten Menschen
Opferbereitschaft und Heldentum.
Wieder sitzen gut gekleidete LautSprecher:innen der Gesellschaft
am Rande und verurteilen eifrig die Unmenschlichkeit –
der Feinde.
Schon wieder …