„Überleben nach dem Überleben“
Dr. Hubert Schneider stellte auf der Veranstaltung der
VVN-BdA Bochum am 20. Februar sein neues Buch vor
Auch der Historiker Dr. Hubert Schneider meint, dass es gute Gründe gibt, auch nach der Befreiung vom Faschismus hinsichtlich der wenigen überlebenden jüdischen Mitbürger_innen statt vom „Leben nach dem Überleben“ vom „Überleben nach dem Überleben“ zu sprechen.
Der von manchen nach 1945 als bewältigt behauptete
Antisemitismus lebte in fast allen Köpfen weiter und äußerte sich in Schändungen jüdischer Friedhöfe, Hakenkreuzschmierereien, ja
sogar in Morden an Überlebenden. Der Referent las dazu Beispiele aus seinem neuesten Buch „Leben
nach dem Überleben“ vor.
Ca. 40 Teilnehmer_innen an der Veranstaltung der VVN-BdA
Bochum am 20.2. lauschten
gebannt und erschüttert. Auch
dass in Bochum ausgerechnet ein Nazi mit gefälschten Papieren z.B. über eine eigene KZ-Haft
Vorsitzender eines „Wiedergutmachungs-Ausschusses“ werden konnte, fand Empörung. Das waren aber nicht mal Einzelfälle. Überall trafen die Überlebenden auf ein Netzwerk von Profiteuren der „Arisierungen“, die nun an leitenden Stellen für die
Wiedergutmachung sorgen sollten. Auch bis 1945 in Bochum führende Faschisten in der Stadtverwaltung und in der Partei erinnerten sich z.B. nicht mehr an die Reichspogromnacht bzw. behaupteten, keinerlei Verantwortung getragen zu haben.
Die Veranstaltung fand statt in einem Lokal in der Dibergstr. 2. Zunächst erinnerte Dr. Schneider daran, dass dieses Haus ab 1940 eins der 9 „Judenhäuser“ in Bochum war. Diese „Judenhäuser“ hatten noch formal jüdische Besitzer und die Bochumer Juden, denen die Emigration und Flucht aus dem faschistischen Deutschland noch nicht gelungen war, wurden dort praktisch kaserniert, um den Faschisten die bald folgenden Deportationen zu erleichtern. Das Haus Dibergstr. 2 gehörte der Familie Wolfstein. Dr. Schneider skizzierte die Geschichte der Wolfsteins. Auch ihr Leben endete bis auf wenige Ausnahmen mit der Ermordung in Konzentrationslagern.
Schneider machte klar, dass die Überlebenden fast ausschließlich „Halbjuden“, „jüdisch Versippte“ oder einen nicht jüdischen
Ehepartner hatten. Das bot bis zum Herbst 1944 einen gewissen Schutz vor der Deportation bzw.
vor der Einweisung in
Zwangsarbeiterlager.
An verschiedenen
Lebensgeschichten erläuterte der Referent, warum die schwerst
physisch und psychisch
Traumatisierten dann doch in Bochum blieben. Aber auch das Schicksal von Emigrierten wurde am Beispiel einer Familie, die in die USA auswanderte, erwähnt. Diese in jeder Hinsicht mit Wunden vieler Art versehenen Menschen konnten oft bis an ihr Lebensende nicht über ihre grauenhaften Erlebnisse berichten.
In einer intensiven Diskussionsrunde erzählte der Wissenschaftler, dass er noch heute von den Enkeln der Überlebenden um Auskünfte über ihre Familien gebeten wird. Zu einigen wenigen der Bochumer Überlebenden hatte und hat der Referent bis heute Kontakt. Insgesamt: Eine erschütternde Lehrstunde über Bochum nach 1945.
Aber: Bochum war überall.
Michael Niggemann zeigte zum Schluss der Veranstaltung per Beamer Fotos und
Dokumente zu dem letzten von der VVN-BdA Bochum als Paten gesponserten
Stolperstein zum Leben und zur Ermordung von Heini Schmitz, SPD.
Die Nachforschungen zu Heinrich Schmitz wurden von unserem VVN-BdA-
Vorsitzenden Günter Gleising erfolgreich durchgeführt.