Wir sind nicht hineingeschlittert …
1. Weltkrieg: Der erste deutsche Versuch des Griffs
nach der Weltmacht
Es ist eine alte Tatsache, dass das Deutungs- und Interpretationsmonopol hinsichtlich
geschichtlicher Ereignisse Herrschaft über die Köpfe von Menschen ermöglicht.
Lange Zeit galt in der deutschen Geschichtsschreibung, dass das Deutsche Reich am
1. Weltkrieg unschuldig war. Dieser Krieg wurde dem friedlich gesinnten Deutschland,
das sich schon lange belagert von bösartigen Feinden fühlte, spätestens mit dem
Attentat auf den österreichischen Thronnachfolger aufgezwungen. Bevor die anderen
anfingen, musste man leider präventiv reagieren.
Später galt nach dem zweiten
verlorenen Weltkrieg, dass
Deutschland und alle anderen
Kriegsteilnehmer eigentlich
unschuldig sind, weil „man” da
so hineingeschlittert ist. „Keiner”
wollte den Krieg, und dann „brach
er aus”. Hier wird der Krieg zum
Subjekt des eigenen „Ausbruchs”
gemacht – einen Vulkanausbruch
kann auch kein Mensch
verursachen oder verhindern.
Geschichtswissenschaften sind wie alle anderen Wissenschaften immer den nationalen
und internationalen politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen unterworfen, sie
spiegeln in der Regel die Meinung der Herrschenden wider.
Ein mutiger Wissenschaftler, der den Stich ins Wespennest der Kolleg_innen nicht
fürchtete und sofort als Netzbeschmutzer beschimpft wurde, Fritz Fischer, schrieb
1961 seine Analyseder kaiserlich-deutschen Kriegszielpolitik, die lange vor 1914
begann und mit 1945 nicht vorbei war: „Griff nach der Weltmacht”. Fischer wertete
einfach die vorhandenen Dokumente aus und berief sich nicht auf die den Krieg und
die deutsche Kriegsschuld immer verleugnenden staatlich bezahlten
„wissenschaftlichen” Kopfarbeiter.
Und tatsächlich: Dieser Ansatz Fischers erlaubte auch die Frage nach dem „Bündnis der
Eliten” und der Kontinuität der Machtstrukturen von 1871 bis heute. Wenn heute
Bücher hochgejubelt werden, die die Politiker von damals als „Schlafwandler”
bezeichnen, findet mal wieder ein Akt der Verleugnung deutscher imperialistischer
Kontinuität statt. Das expansive militärische Auftreten Deutschlands in Europa und
der Welt erfordert den ideologischen Roll-Back, Nebel über die Schuldigen von 1914 zu
legen. Mit Bangen erwarten wir, dass „Wissenschaftler_innen” auch die Schuldigen am 2. Weltkrieg verleugnen oder gar den Polen (Sender Gleiwitz) wieder die Schuld geben. Versuche dazu konnten bisher (noch) abgewehrt werden.
Vor 1871 gab es auf dem Gebiet des 1871 sinnigerweise – nach einem von Preußen
begonnenen und gewonnenen Krieg – in Versailles gegründeten Kaiserreiches ca. 300
mehr oder weniger große Kleinstaaten. Dieser Flickenteppich erlaubte keine
kapitalistisch-imperialistische Politik. Nationalstaaten wie Großbritannien und
Frankreich, die frühzeitig fremde Länder und Menschen raubten, Kolonien
ausplünderten und damit ihre kapitalistische Entwicklung anheizten, hatten große
Teile des Globus besetzt. Sie waren auch begünstigt durch direkten Zugang zu den
Weltmeeren mit entsprechenden Seefahrtstechniken.
Die kapitalistische Entwicklung
des Deutschen Reiches kam 1871
durch die Reichseinheit und die
Strafe für die angebliche
Kriegsschuld Frankreichs am
vorangegangenen Krieg zustande:
5 Milliarden Goldmark. Das neue
deutsche Reich stieß bald an die
Grenzen der nationalen
kapitalistischen Entwicklung und
die Herrschenden stellten
erstaunt fest, dass große Teile der
Welt inzwischen kolonialisiert
waren und „man” selbst zu spät
gekommen war. Das verlangte eine neue Weltordnung im deutschen Sinne.
Die Herrschenden im Deutschen Reich wollten, dass auch in ihrem Reich die Sonne nie
untergehen möge. Auf jeden Fall sollte ein unter deutscher Vorherrschaft stehender
mitteleuropäischer Wirtschaftsraum geschaffen werden aber auch neue Lebensräume
im Osten hatte man geplant. Die Ukraine war schon 1914 im Visier des deutschen
Imperialismus. Eine irrwitzige Rüstungspolitik begann. Natürlich zogen angesichts
dieser Entwicklung die „Feindstaaten” mit. Neben der direkten Aufrüstung in
waffentechnischer Hinsicht begann der Krieg um die Köpfe der deutschen Bevölkerung.
Dutzende von militaristischen alldeutschen und kolonialen Kriegervereinen, Konzernen
und ihre Medien propagierten die Notwendigkeit eines Krieges. Nur die SPD zögerte
lange. Ihr wurde deshalb der Vorwurf „vaterlandslose Gesellen” gemacht. Also beeilten
sich führende Realos unter den Sozialdemokraten, ihre Vaterlandsliebe unter Beweis zu
stellen. Wenn es gelte, Deutschland vor Angriffen von Feinden zu schützen, würde auch
die SPD zur Vaterlandsverteidigung bereit sein. Die ökonomisch und politisch
Herrschenden hatten nun eine leicht lösbare Aufgabe: Antirussische, antifranzösische,
antibritische Feindbilder waren eh vorhanden –jetzt mussten sie radikalisiert werden.
„Feinde ringsum” war das Schlagwort. Dass jeder Krieg seit langem und bis heute als
Verteidigungskrieg von den Politiker_innen und Meinungsmacher_innen verkauft
wird, war schon immer klar. „Man” musste das eigene Land als angegriffen darstellen,
um dann den „Griff nach der Weltmacht” führen zu können.
(Heute beginnt die deutsche
Vorwärtsverteidigung gegen
„Feinde” ja schon ganz offiziell
am Hindukusch oder in Mali).
Im Sommer 1914 war auch
rüstungsindustriell der richtige
Zeitpunkt gekommen.
Rüstungsschmieden wie der
Bochumer Verein oder Krupp
saßen auf vollen Lagern. Krupp
verkaufte seinen Spezialzünder
für Granaten (KPZ 96/04)
erfolgreich nach Groß-
britannien und erhielt im Krieg
für jeden von englischen Krupp-
Granaten getöteten deutschen Soldaten eine vorher festgelegte Prämie. So machte der
Krieg für Krupp einen guten Sinn! Geschäft ist Geschäft!
Die SPD schloss ihren Burgfrieden mit dem Kaiserreich, bewilligte die Kriegskredite
(bis auf Karl Liebknecht!) – der Krieg konnte beginnen.
Einer der Hauptverantwortlichen für den millionenfachen Tod, Paul von Hindenburg, wurde schon 1917 Ehrenbürger der Stadt Bochum. 1914 hieß es:„Am deutschen Wesen soll dieWelt genesen”! Und alle machten mit!
Vor allem die protestantische Kirche, aber auch fast alle Universitätsprofessoren und
sonstigen relevanten Meinungsmacher_innen waren über den Kriegsbeginn hellauf
begeistert und unterstützten ihn bis zum Schluss.
Das Wort des preußischen Generalstabschefs Helmut von Moltke d.Ä. (1800-1891), dass „der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung” sei, wurde tausendfach nachgebetet.
Die Schlachterei für „Gott, Kaiser und Vaterland” konnte beginnen.
In Bochum gab es bis 1947 einen Moltke-Markt, der dann aus guten Gründen nach
Karl Springer, einem antifaschistischen Widerstandskämpfer, umbenannt worden ist.
Bochumer Großunternehmer haben einen Gourmet- Markt auf dem Springerplatz
wieder nach dem Kriegstreiber Moltke benannt.
Aber das muss ja auch nicht so bleiben!